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"Lost landscapes – Lost visions" – Gedenkveranstaltung zum 24. April 1915 im Lew Kopelew Forum, Köln; Vahan Topchyan Graphitzeichnung "lost landscape"; Albert Vardanyan, Bronze "seven stimata"; Prof. Dr. Ralph Giordano und Elvira Reith

24.04.2005, ADK

Interview: VOR 90 JAHREN – VÖLKERMORD AN DEN ARMENIERN

Die Kölner Künstlerin Elvira Reith initiierte im Lew Kopelew Forum in Köln eine 3-tägige Gedenkveranstaltung unter der Schirmherrschaft von Dr. Ralph Giordano. Die ADK sprach mit ihr über ihre Motive und Erfahrungen.

ADK: Sie haben im Lew Kopelew Forum eine wirklich beeindruckende Gedenkveranstaltung zum 90. Jahrestag des Genozids organisiert, wie kam es dazu?

E.R.: Wenn man Armenien bereist und sich mit dem Land beschäftigt, wird man automatisch mit der wechselvollen und tragischen Geschichte konfrontiert. Das tat auch manchmal weh, weil ich so wenig wusste. Ohnehin wunderte ich mich über die Verleugnungspolitik der Türkei und das vehemente und arglose Schweigen hier in Deutschland. Dagegen wollte ich etwas tun, mit meinen Mitteln, mit Mitteln der Kunst und Kultur.     
Das erste Motiv war also ein Projekt gegen das Schweigen zu initiieren. Es kamen viele Dinge zusammen, auch im Kontakt mit Diaspora-Armeniern, der Armenischen Gemeinde hier in Köln.    

Zunächst wollte ich eine eigene, persönliche Kunst-Installation zum Gedenken an den Völkermord machen. Davon habe ich dann aber Abstand genommen. Denn ich hatte in Armenien viele gute Künstler mit hervorragenden Arbeiten getroffen und fand, dass sie sich selbst viel authentischer als ich zum Thema äußern konnten.
Die Arbeiten des Bildhauers Albert Vardanyan z.B. waren für mich so tiefgehende Metaphern für die ganze Tragödie. Ich wollte sie unbedingt in Deutschland zeigen. Flankierend dazu die graphischen schwarz-weiß Arbeiten des Malers Vahan Topchyan, abstrakte Arbeiten, die, wenn Sie so wollen, die Undurchdringbarkeit und Mauer des Schweigens thematisierten.

Ich gab der Ausstellung den Namen "lost landscapes – lost visions",  der gleichzeitig Sinngebung und Sinnsuche bedeutet, er ist klar und deutlich, zeigt die Wunden und überwindet, transformiert, so wie gute Kunst das immer tut, man spürt den Schmerz, aber auch die Hoffnung.

ADK: Hatten Sie öffentliche Förderung für das Projekt?

E.R.: Das Lew Kopelew Forum und die Deutsche Botschaft in Yerevan haben das Projekt mit finanziert. Der Rahmen war bescheiden. Gerne hätte ich eine gute Dokumentation gemacht.

ADK: Wie kam es zur Auswahl des Ortes, dem Lew Kopelew Forum?  


E.R.: Das Lew Kopelew Forum hat einen ausgezeichneten Ruf, ist Ort der Begegnung, offen, aufgeschlossen und setzt sich mit den Themenkomplexen Osteuropa und Menschenrechten auseinander. Ich bin Mitglied des Forums, kannte Lew Kopelew noch persönlich und finde den Raum und Rahmen, der in besonderer Weise auch Schutz, Zuversicht und Toleranz bietet, besonders geeignet. Ich bin sicher, Lew Kopelew hätte es sehr gefallen, am vermittelnden Diskurs der Völker und insbesondere am Gedenken gegen das Vergessen mitzuwirken.   

Zudem hatte ich bereits 2000 Armenische Kulturtage dort veranstaltet, eines der ersten Karo Dame Kulturprojekte.

ADK: Sie sind also schon länger in Sachen Armenien aktiv, haben Sie Kontakte hier in Köln zur armenischen Gemeinde?

E.R.: Ja, gerade seit der 1. Veranstaltung im Forum kenne ich Krikor Pehlivan, ein wirklicher Aktivist in Sachen "Nichtvergessen des Völkermordes", er war es auch, der mich fragte, ob ich den 89. Gedenktag
den 24. April 2004 filmisch dokumentieren wollte.
Ich konnte Wilfried Kaute als Produzent und Kameramann von diesem Projekt überzeugen. So waren wir im April 2004 in Armenien, um Eindrücke rund um den 24. April aufzunehmen und Krikor Pehlivans Wunsch, einen 5minütigen Dokumentarfilm noch am selben Tag ins Internet zu stellen, konnte von Wilfried Kaute verwirklicht werden.

Der kurze Film ist unter www.armenien.de noch immer zu sehen.  

Wir sind dann weitergereist und haben die Eindrücke dieser Reise später zu einem 50minütigen Film zusammengefasst. In einem historischen Block, eingeleitet durch den Fischer Besuch werden Vertreibung und Vernichtung der Armenier thematisiert und das Wirken Armin T. Wegners gewürdigt. "Armenien im Frühling" ist ein ruhiger Film – eine Annäherung – mit Begegnungen von Menschen und er ist die Suche nach den Wurzeln des musikalischen Armeniens.
Den Film haben wir dann innerhalb des 3-tägigen Programms im Forum gezeigt.

ADK: Der Film ist also bisher nur im Rahmen dieser Gedenktage gelaufen, ist es geplant, ihn auch im Fernsehen zu zeigen?

E.R.: Ja gerne, er wurde angeboten, aber wie das so ist, steht die Entscheidung noch aus. Aus der Erfahrung mit diesem Film arbeiten wir bereits an einem neuen Filmprojekt, das sich auch wieder mit der Musik und Kultur Armeniens beschäftigt. Ein spannendes Thema, immer wieder gibt es neue Impulse, auch durch die weltweite Diaspora.
 
ADK: In welcher Form hat der Film den Genozid thematisiert und mit welchen Fakten haben sie gearbeitet?

E.R.: Zunächst sind wir ja vom nationalen Gedenktag, dem 24. April 2004 ausgegangen. Die Menschen aus dem Land und Hunderttausende aus aller Welt kommen zum Mahnmal Zizernakaberd, um an der offenen Flamme Blumen niederzulegen. Da es ja für die Toten – in Anatolien oder Mesopotamien – keine Gräber, also Orte des Trauerns gibt, sammelt sich dort der ganze Schmerz von Jahr zu Jahr. Ich habe erlebt, wie dieser Schmerz bei vielen in eine Art Kraft des Trauerns übergeht. Das Trauma sitzt tief verborgen. Das hat mich sehr berührt und mir auch das Motiv vermittelt, dies hier in Deutschland zu kommunizieren.

Interessant war die Erfahrung, dass, wenn die Dinge einmal angestoßen sind, sich viele andere Dinge darum entwickeln und von selbst ergeben. Die Steine kommen dann eben ins Rollen. Zufall war auch, dass wir den Besuch von Joschka Fischer – zwei Tage vor den eigentlichen Gedenkfeierlichkeiten am 22. 4. 2004 – dokumentieren konnten. Natürlich waren wir ganz früh am Mahnmal, um uns diesen historischen Augenblick nicht entgehen zu lassen. Im Film haben wir Material des Auswärtigen Amtes und von Armin T. Wegner benutzt sowie andere historische Photos.

ADK: Haben Sie erfahren können, ob der Fischer-Besuch hier in der politischen Landschaft überhaupt wahrgenommen wurde?

E.R.: Ja, ich habe recherchiert und herausgefunden, dass darüber in den Tagesthemen und in der Presse berichtet wurde, aber eher im Zusammenhang mit seiner Kaukasus-Afghanistan-Reise. Was Armenien betrifft, ist die Wirkung im Sinne der Nachhaltigkeit von Aufarbeitung und Wahrheit allerdings ausgeblieben.
Verstanden habe ich nicht, dass die rot-grüne Regierung nicht ein konsequentes Zeichen gesetzt hat in der Anerkennung, dokumentiert mit einem offiziellen Staatsbesuch des Kanzlers oder Außenministers unmittelbar und deutlich, z.B. zum 90. Jahrestag dieses Jahres, Auge in Auge mit der Wirklichkeit und der Wahrheit sozusagen. Deutschland hat nun mal eine Schlüsselrolle in dieser tragischen Angelegenheit. Auch das tut weh. Opportunismus und strategische Klimmzüge nützen da niemandem. Und dass dann die CDU den Antrag in den Bundestag eingebracht hat, auch das finde ich bemerkenswert.

ADK: Wie kam es überhaupt zu Ihrem Interesse für Armenien?
        
E.R.: Von Anbeginn meines künstlerischen Schaffens standen viele meiner Arbeiten in einem politischen und sozialen Kontext. Es begann mit Arbeiten zu Tschernobyl und der Perestroika. Anfang der 90er Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion tat sich für uns Künstler ja eine neue Welt auf, der Blick nach OSTEN sozusagen öffnete sich. Die Orientierung nach Osten, nach Osteuropa war für mich etwas ganz besonderes. Über diese Projekte und Künstlerkontakte bin ich zunächst nach Georgien gekommen. Von Tiblissi aus war es dann nur noch ein kleiner Schritt nach Armenien. Ich wurde zur 1. Biennale nach Gyumri  eingeladen habe seither an mehreren Ausstellungen teilgenommen und das Land und seine Menschen wirklich ins Herz geschlossen.
        
ADK: Können Sie noch näheres zum sonstigen Programm der 3 Tage sagen?
        
E.R.: Zunächst einmal hat Dr. Ralph Giordano, den ich als Schirmherr gewinnen konnte, eine ungewöhnlich beeindruckende Rede gehalten und den historischen Verlauf der Tragödie für viele Besucher offen gelegt.
Auch der Erzbischof S.E. Karekin Bekdjian hat ganz besonders auf die seelischen und menschlichen Verluste, die verlorenen Kulturgüter hingewiesen. Viele Gäste waren gekommen, Freunde der armenischen Kultur, Mitglieder der armenischen Gemeinde, Interessierte aus allen Schichten, auch die beiden türkischen Schriftsteller Kemal Yalcin und Dogan Akanli.  

Marie und Shushan Hunanyan aus Oberhausen, beides begabte Musikerinnen haben der Veranstaltung einen würdigen Rahmen gegeben. Die 12jährige Marie ist ein hochbegabtes Mädchen, eine junge Geigerin, die tief und bemerkenswert u.a. Komitas spielt. Mit Shushan Hunanyan am Flügel interpretierten sie Chatchaturian und Komitas.
Die Ausstellungseröffnung in diesem Rahmen hat natürlich den beiden Künstlern aus Gyumri und auch Alexan Ter-Minasyan, der das Projekt koordiniert hat, gut gefallen.   

Die Kunstwerke im Raum, z.B. die große Plastik VISION, eine Stehende/Bronze, thematisierten nicht nur die verlorene Vision – ihre Verlorenheit grenzt an ein Wunder. Für mich ist diese Skulptur der Inbegriff des Menschlichen und hat etwas von einer gotischen Kathedrale. In absoluter Konzentration steht sie – voller Hoffnung – tief in sich selbst versunken. Ihre geistigen Wurzeln sind so stark, das spürt man einfach. Und deswegen wirkt sie auch.
Die Wirklichkeit und Wahrheit bahnt sich immer ihren Weg. Ebenso beeindruckend die Skulptur "die 7 Wunden", ein von Pfeilen durchbohrtes Objekt, das an einen Körper erinnert. Dazu die expressiven schwarzen Graphitzeichnungen von Vahan mit kleinen Lichtöffnungen. Der Kunstkritiker Wardan Jalojan hat beide Werkkomplexe gut miteinander verknüpfend beschrieben.

ADK: Am zweiten Tag lief Ihr Film, der dritte Tag war der Literatur gewidmet. Wie war die Resonanz und wie sah das Programm aus?

E.R.: Dr. Raffi Kantian leitete seinen Vortrag über armenische Literatur nach dem Genozid mit dem Satz ein: "Der Völkermord vernichtete die Blüte der armenischen Literatur, die den Aufbruch in die Moderne gewagt hatte." Dieser Satz brachte es auf den Punkt.

Es waren so viele Menschen gekommen, es gab nicht genügend Plätze, viele mussten wieder gehen. Der Vortrag war sehr interessant, zeigte er doch, wie wenig hier in Deutschland von armenischer Literatur bekannt ist, insbesondere die Gedichtbeispiele, die mit wenigen Worten so viel sagen konnten, haben dies bewiesen.  

Im Anschluß an Dr. Kantians Vortrag hatten Edgar Hilsenrath, Bernt Hahn, Kölner Schauspieler, das Wort. Bernt Hahn beeindruckte mit der Stimme des Märchenerzählers, Edgar Hilsenrath lauschte seinen eigenen Worten, bewegend vor allem, mit welcher Genauigkeit er die schrecklichen Geschehnisse schildert, eben als "Märchen vom letzten Gedanken".
Der Dittrich-Verlag präsentierte in diesem Zusammenhang eine Neuauflage des Buches.

ADK: Ihr Fazit, Ihre Wünsche und Ziele für die Zukunft?

E.R.: Ein Kulturprojekt dieser Art zu initiieren war mein kreativer Beitrag, zu dem ich mich verpflichtet fühlte. Ich wollte etwas von der Großzügigkeit zurückgeben, die mir in Armenien immer wieder zuteil wurde. Die Veranstaltung war ein überwältigender Erfolg.

Ich wünsche mir – auch für die Künstler – dass die Ausstellung "lost landscapes – lost visions" noch weitere Orte findet, z.B. in Berlin und einige Arbeiten verkauft werden. Die begonnen Beziehungen sollten vertieft werden, es gibt viele wertvolle Kontakte und interessante Künstler.
Allen Beteiligten Musikern, Künstlern, Mitwirkenden, dem Lew Kopelew Forum, möchte ich hier bei dieser Gelegenheit meinen herzlichen Dank aussprechen.
Natürlich wünsche ich mir weiteren Erfolg für meine Arbeit, insbesondere hoffe ich auf Interesse zu stoßen was  die Filmprojekte angeht. Denn ich finde, dass es in Armenien immer noch viel zu entdecken und mitzuteilen gibt; auf jeden Fall ist es anregend, ob daraus dann ein Bild, eine Skulptur ein Film oder ein neues Kulturprojekt entsteht.
        
Ich glaube, dass Kunst, Literatur und insbesondere Musik ganz andere Prozesse in Gang setzen können, Prozesse der Toleranz, Versöhnung und Menschlichkeit, die unbedingt benötigt werden – ihre Sprache wirkt sanfter und unmittelbarer als die der Politik – und – sie kennt keine Grenzen. Orhan Pamuks Roman "Schnee" ist ein gutes Beispiel oder die Musik von Arto Tuncboyaciyan und seiner Armenian Navy Band.

Das Interview führte Sossy Scheier, Deutsch-Armenische Gesellschaft;
veröffentlicht in ADK, Armenisch-Deutsche Korrespondenz 127/128,
Jhg. 2005 (ISSN 0936-9325)