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"Earthworks"; "Lady Sun", Persien 19. Jh. "Near East Collection" Yerevan; Marcos Grigorian/Elvira Reith

10.01.2008, ADK

Nachruf: Marcos Grigorian

Die Tränen Armeniens
persönlicher Nachruf auf den iranisch-armenischen Künstler Marcos Grigorian
von Elvira Reith

Seinen Ort der Sehnsucht hatte Marcos Grigorian gefunden: das neue Armenien, das Armenien der Unabhängigkeit, das quirlige Yerevan, ein Haus in Garni neben dem hellenistisch-römischen Tempel mit Blick in die grandiose karge Landschaft. Hier wollte er zur Ruhe kommen, sich seinen Arbeiten widmen, den „Earthworks“ und seiner Malerei.  

Er war einer der Pioniere der „Landart“, eingebettet in den New Yorker Kunst-Meltingpott der 60er bis 80er Jahre; er beschäftigte sich mit dem natürlichsten und fruchtbarsten aller Produkte, der Erde. Formuliert hatte Marcos Grigorian dies aus dem Innersten heraus, nach einer groß angelegten Arbeit über Ausschwitz „A 100 feet long cry of horror“  damals 1960, als kaum jemand die Aufarbeitung des Holocausts auf diese Weise betrieb. In einem Gedicht, mit dem Titel  „My Cry“ legte er dies offen. In der traurigen folgerichtigen Beschäftigung mit Asche landete er bei der Erde, verarbeitete Holz, Stroh, Lehm zu archaisch anmutenden Wandbildern und Objekten. Der stumme Schrei, in den er den Armenischen Genozid mit einbezog, begleitete Marcos Grigorian ein Leben lang.

Im August dieses Jahres ist Marcos Grigorian 82jährig in Yerevan verstorben. Ein tragisches
Ereignis, ein Raubüberfall, hatte ihn nur noch kurze Zeit überleben lassen. Tragisch auch, weil so viele Ungereimtheiten dieses Unglück begleiteten.

Werfen wir einen Blick auf ein Schicksal, das von Geburt an gekennzeichnet ist vom Schock des Genozids, und das die Unruhe und das Getriebensein, aber auch die Liebe zu seiner Kultur, der armenischen Kultur als Motiv ein ganzes Jahrhundert durchzieht. Wer war Marcos Grigorian?
Seine Eltern wurden in Kars geboren und lebten dort; flohen als Überlebende des Völkermordes mit ihren beiden Kindern 1923 nach Kropotkin/Krasnodar in Russland. Dort wurde Marcos Grigorian am 5. Dezember 1925 als 3. Kind geboren. 1930 zog die Familie nach Tabriz/Persien um. Die Mutter starb, der Vater versorgte die Familie fortan als Schneider. Marcos und seine Brüder besuchten die Armenische Schule in Teheran. 1936 zog der Vater mit den Kindern nach Abadan um. Der Vater heiratete wieder und die Familie zog nach New Julfa / Isfahan in eine Stadt mit großem Anteil armenischer Bevölkerung. 1940 zog die Familie zurück nach Teheran und Marcos besuchte das „American College“.
1943 - während des 2. Weltkrieges arbeitete Marcos für die Amerikanische Militär-Transport Schule, zunächst als Student, später als Instrukteur. 1945 nach dem Krieg avancierte Marcos zum Supersportler. Er war Champion in Diskuswerfen und Champion im Leichtgewicht. 1948  begann er mit der Malerei, studierte an der Kamael-el-molk-Art School  in Teheran und stellte in Gruppenausstellungen aus.
1950 ging er nach Rom und studierte bis 1954 an der Kunstakademie bei Prof. Roberto Melli.
1954 zeitgleich mit einer Einzelausstellung in Teheran gründete er dort die Gallery Aestethic und organisierte zahlreiche Ausstellungen auch für andere Künstler. Er unterrichtete und gab seine neuen Kunstimpulse in offenen Klassen an zahlreiche Künstler weiter. Sein Interesse galt seit jeher der Volkskunst. Er entdeckte einige Überlebende der Iranischen Teeladen Maler in Teheran und nennt sie „Troubadour Painters“. Er schreibt viele Artikel über die Troubadoure und beginnt, sich noch intensiver mit persischer Volkskunst zu beschäftigen. Bereits hier ist  seine Sammelleidenschaft ablesbar.

1955 geht Marcos Grigorian zurück nach Rom, dort heiratet er Flora Adamian.
1956 wird Tochter Sabrina in Rom geboren. Marcos ist Teilnehmer der Biennale in Venedig. 1958 vertritt er den Iran  mit eigenem Pavillon auf der Biennale in Venedig. Im selben Jahr ist er Gründer und Organisator der ersten Teheran/Venedig-Biennale. Der Kritiker Karim Emani schreibt: „Grigorian, a graduate of Rome Academy of Fine Arts, is one of the earliest pioneers of modern art in Iran...“

Ab 1959 verarbeitet er die Inhumanität des 2. Weltkrieges, ein groß angelegter Zyklus Bilder entsteht, den er 1960 in den Missaghie Film Studios ausstellt. Seit dieser Zeit werden seine „Earthworks“ zu seiner neuen Leidenschaft.  
Neben seiner Malerei hat Marcos eine neue Karriere als Schauspieler begonnen, sein Pseudonym: Marc Gregory. Er spielt in „Big City“, „Peace before Storm“, „The Key“, „Desert Wolf“, „White Gold, „Last Passage“ „Man in Storm, „Mission Impossible“. 1960 wird die Ehe geschieden.

1962 zieht er nach New York. Seine „Earthworks“ allerdings finden nicht die erhoffte Resonanz.
Er schlägt sich durch, er möchte seinen Holocaust-Bilderzyklus ausstellen, aber das Jüdische Museum winkt ab. Kunstunterricht hält ihn am Leben, 1963 kann er endlich seine „Earthworks“ ausstellen. Auch die Antikriegsarbeit wird in Minneapolis ausgestellt. Er erhält ein Dauervisum.

1964 eröffnet er in New York ein Studio in der 54th Straße.
Alfred Barr, berühmter Sammler moderner Kunst wird aufmerksam. Das Museum of Modern Art kauft eine Arbeit an. 1970 wird er amerikanischer Staatsbürger und Gastprofessor an der Universität in Teheran. Fortan stellt er regelmäßig in Teheran aus. 1978 Nelson Rockefeller kauft aus der Teheran-Ausstellung vier Werke an und bringt sie nach N.Y. 1979 Putsch im Iran. 1980 gründet Marcos Grigorian in Verehrung an Achile Gorky die Gorky Gallery in N.Y. in der 1320 Madison Avenue und stellte dort u.a. die Künstler Ardash, Lucien Dulfan, Arshile Gorky, Grigorian, Kardash, S. Melkonian, Reuben Nakian, Emmanuel P.G., G. Paul, Varoujan aus.
 
1986  verliert Marcos Grigorian seine geliebte Tochter Sabrina, die an einem Herzanfall stirbt, ungewöhnlich jung.
1987 startet Marcos Grigorian eine neue Phase in seinem Leben, er beschäftigt sich neben den „Earthworks“ mit dem Design von Teppichen nach alten urartäischen Motiven. Später wird er in Garni unweit seines Sommerhauses Räume anmieten und armenischen Frauen eine neue Perspektive geben: sie weben nach seinen und altarmenischen Motiven und färben Wolle nach traditionellen Rezepten. So fördert er vergessene armenische Traditionen. In den 90er Jahren hat M. G. zahlreiche Ausstellungen, u.a. in New York, Moskau und Yerevan. Nach der Unabhängigkeit Armeniens 1991, ist er jährlich mehrere Monate dort.   


1994 findet in Bochum eine große Armenien-Ausstellung statt, Marcos Grigorian ist mit einigen Arbeiten beteiligt. Er lädt großzügig und aufgeschlossen die deutschen Künstler Ulrike Arnold, Helmut Löhr und Ursula Schulz Dornburg nach Armenien ein. Seine Arbeiten werden im Ludwig Forum in Aachen ausgestellt.

1998 ist er Mitbegründer der Biennale in Gyumri und hilft den armenischen Künstlern aus dem Weg der jahrelangen Isolation. Zu dieser Biennale begegnete ich Marcos zum ersten Mal: seine Gastfreundschaft, Neugier und Freude am Austausch waren beeindruckend, wir durften sein Haus in Garni als Refugium erleben; erleben wie naturverbunden, lebendig und authentisch er mit Armenien verbunden war.

Seine ganze Leidenschaft hat Marcos Grigorian der Kunst gewidmet, hat eine Sammlung  zusammengetragen, die vieles zeigt was den südkaukasischen, armenischen, den anatolischen und persischen Kulturraum vereint und zudem das Ineinanderfliessen der Kulturen dokumentiert. Der Begriff Volkskunst ist hier nur eine dürftige Beschreibung.


Über die Grenzen und Religionen hinweg interessierten ihn die Zusammenhänge des MENSCHLICHEN UND HUMANEN, ob als „Sonnengesicht/Lady Sun“, den bösen Blick abwehrend, als  Türklopfer, Amulett („Alis Hand“, die 5 Säulen des Islam symbolisierend), als archaische Terrakotta oder als farbenprächtiger Teppich.
Zur Sammlung gehören ebenso viele Bücher, Photographien, Zeugnisse und Belege der Armenischen Kultur, einschließlich die seiner Familiengeschichte, die stellvertretend für viele Diaspora-Schicksale steht und natürlich eigene Kunstwerke verschiedener Richtungen, Malerei, insbesondere aber „Earthworks“.
 
1993 hatte Marcos Grigorian den Wunsch, all diese gesammelten Schätze dem armenischen Volk und Staat - sozusagen als Sammlung zugänglich zu machen. Man versprach ihm zukünftig repräsentative Räume, d. h. ein eigenes Haus und brachte die Sammlung als „Near East Museum: Marcos and Sabrina Grigorian collection“ innerhalb des Literaturmuseums in Yerevan unter.
 
An diesem Zustand sollte sich Zeit seines Lebens nichts ändern. Das ärgerte Marcos Grigorian, der immer wieder intervenierte, um sein ihm verbrieftes Recht auf angemessene Präsentation seiner Sammlung einzuklagen. Der Streit ging soweit, dass M. G. seine Sammlung zurückverlangte, in der Presse wurde darüber berichtet. In der Zwischenzeit war Marcos Grigorian 82 Jahre alt geworden und hatte sein geliebtes Haus neben dem Tempel von Garni verkauft.    
Die Abwicklung bzw. die Übergabe der Geldsumme, das offenherzige Erzählen darüber, hat möglicherweise habgierige Verbrecher dazu gebracht, ihm aufzulauern und ihn zu überfallen. Sie erbeuteten jedoch nur eine klägliche Summe. Sie überfielen einen Mann, der Zeit seines Lebens für die Kunst und die Begegnung gelebt hatte, der gerne lebte, und vor allem ein stets offenes Haus hatte.

Als Mentor und Mitgründer der Biennale in Gyumri stand er den Initiatoren und Künstlern Vazgen Pahlavuni-Tadevosian, AZAT, Arpine Tokmadjian zur Seite, ermunterte sie stets, ihre Kraft immer wieder – auch gegen Widerstände – der zeitgenössischen Kunst zu widmen, dieser Funken sprang auch auf alle anderen Biennale Teilnehmer über. Oft huschte ein Lachen huschte über sein Gesicht, wenn er von seinen Galerieerfahrungen in New York berichtete. In Erinnerung bleiben viele schöne Momente, gute Gespräche und unerschütterlich: neue Pläne.

Das 10jährige Bestehen der Biennale sollte 2008 groß gefeiert werden - mit Marcos Grigorian als Ehrengast. 2004 bin ich Marcos ein letztes Mal begegnet. Er lud uns in sein neues Haus in Yerevan ein, zeigte uns die Auswahl seiner Arbeiten, die er zu seinem 80. Geburtstag mit dem Titel „Wandering Lilith“ ausstellen wollte; zu jeder Leinwand erzählte er eine Geschichte, ein kleines Stück seiner Lebensgeschichte.
Gerne sagte er zu, sich an meiner aktuellen Biennale-Arbeit zum Thema „Armenisches Alphabet - Die Spur der Wörter“ mit einem handschriftlichen Text zu beteiligen.
Er hatte das Gedicht „My Cry“ ausgewählt und schrieb es mit großer Konzentration. Heute erschüttert und berührt mich der Gedanke tief, dass Marcos Grigorian in den Räumen, in denen er das für ihn so wichtige Gedicht schrieb, um sein Leben kämpfen mußte.
Viele Menschen sind ihm zu Dank verpflichtet. Ihm gebührt alle Hochachtung. Sein Leben und sein Einsatz für die Kunst und insbesondere die damit verbundenen menschlichen Beziehungen werden dafür sorgen, dass er unvergessen bleibt.


Persönlich werde ich die erste Arbeit, die ich 1998 in Yerevan von ihm sah, in tiefer Erinnerung behalten: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Eine Installation mit Mehl und Brot, die an die Sorgen und Nöte menschlicher Existenz erinnerte, insbesondere an die der ARMENIER.

Seine Familie in den USA, seine Freunde in Armenien, in der Diaspora, aber auch in Europa, in Deutschland trauern um einen großen, lebenslustigen und mutigen Künstler, der Dank seiner Offenherzigkeit auf tragische Weise selbst zum Opfer wurde.  

Eine aktuelle Petition zahlreicher Intellektueller aus dem Iran/Teheran, aus Frankreich und Deutschland – gerichtet an den Armenischen Staat - soll auf die Bedeutung des Künstlers und seiner Kunst-Sammlung hinweisen sowie die Aufklärung des Verbrechens fordern.

Der harte Hauch der Geschichte, auch der mit postsowjetischer und bisweilen diasporafeindlicher Umklammerung, umwehte Marcos Grigorian bis zuletzt. Nur ein kleiner Kreis begleitete ihn, als er in Yerevan auf dem städtischen Friedhof begraben wurde.

In Erinnerung behalten wir einen Menschen, der für die Begegnung ebenso wie für die Kunst lebte. Mit seinen „Earthworks“, die als Vorahnung auf die großen bevorstehenden Umweltprobleme zu deuten sind, wird er als Mahner in die Kunstgeschichte eingehen.  
 


veröffentlicht in: ADK Armenisch-Deutsche Korrespondenz Nr. 138, Jg 2007 / Heft 4
Copyright Elvira Reith