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Juliane Groß Schnittmuster-Collage und Peter Pichlers Kölner Nachtstadtbilder

17.09.2009, Galerie im Turm: Köln, Stollwerk

Portrait: Juliane Groß / Peter Pichler

Juliane Groß, Malerei/Collage
Peter Pichler, Malerei
"Es ist nie so wie es scheint"       
Eröffnung: 17. September 2009, 19 Uhr
Öffnungszeiten Di + Do 16-19 Uhr, So 13-18 Uhr
Galerie im Turm/Stollwerck, Dreikönigenstr.23, 50678 Köln

Einführung: Elvira Reith

Bilder und Schnittmuster-Collagen von Juliane Groß

Schnittmuster sind Entwürfe für die Gegenwart, hineingedacht in die Zukunft. Es soll etwas werden, es soll ein Kleid, ein Umhang oder eine Hose werden.  Die Linien überschneiden sich, das Gedachte, Geplante soll in den Raum der Wirklichkeit treten. Die Idee des schönen Sommerkleides, soll flink der Hand der Schneiderin entspringen und mit einem schönen Stoff mit Leben gefüllt werden, mit dem Körper. 

Juliane Groß figürliche Malerei mit Schnittmuster-Ausschnitten entzieht sich all diesen Klischees, sie führt in eine raumhafte und erzählende Gegenwart. Sie kombiniert  Ideen mit frechen Assoziationen, mit Rochen,  Gesichtern und knienden Menschenleibern. Was inspiriert sie, was will die Künstlerin uns sagen, wohin will sie uns führen?

Ist es das Prinzip Torso, das begrenzte, das abgeschnittene, das neu Erdachte, zu kombinieren mit Zusammensetzungen, collagierten abstrakten Flächen, Spuren, neuartigen Scherenschnitten?  Das lebendige, das entwurfartige eines Schnittmusters trägt Bedingungen in sich und weiter, es sind Erfahrungen, die mit den kulturellen Traditionen zusammenhängen und vom Entwurfsprozess aus auf die  in die Zukunft gerichtete Aura vorstoßen.

Dazu benötigt man Werkzeuge, Ideen, Geschick, Farbe, Formen, ein spielerischer Prozess beginnt, erinnert an Architektur, an Räume, an Träume, an Kleinigkeiten: gesellschaftliche Prozesse werden sichtbar, so die Angaben zum Fadenlauf, die viel zitierte „Mitte“ suchend, der russische Text zur Anleitung verrät den Aufbruch der Frauenzeitschrift Burda in Russland, möglich geworden durch die Perestroika und die Umwälzungen in Osteuropa. Ja, der Sinn des Schnittmusters ist die Bekleidung. Schöne neue Mode, die Welt des Erfolgs und Fortschritts, der gesellschaftlichen Anerkennung.

Was nun? Juliane Groß  zerstört diese schöne kleine Modewelt, sie entfaltet ihr eigenes Labor: abstrakte Flächen, oft kräftige Farben, werden hinzugefügt, Haupt- und Nebenwege entdeckt, neue Terretorien  ertastet. Die dem Schnittmuster abwesenden Körper, werden neu assoziiert, „als Kopfgeburt“ enttarnt und flugs in die Gegenwart katapultiert. Der Körper ist nackt.

Die Zurückführung in die Jetzt-Zeit gelingt verspielt, die Zurückführung in eine dada-verwandte Collage; denn dada entkleidete, dada ent-funktionierte, dada entfremdete, dada entzog die reale Räumlichkeit. Vielleicht ist es dieser unbewusste Brückenschlag und Rückbezug, was die Bilder von Juliane Groß so interessant macht, denn  „es ist nie so wie es scheint“, damals wie heute.   


Bei den figurbetonten Bildern der beiden spielenden Mädchen im Meer betont sie das Aufgehobensein in der Gegenwart. Die jungen Mädchen scheinen – im lichtumspielten Blau des Wassers  - das Aufheben jeglicher Räumlichkeit  zu zelebrieren.


Nachtstadtbilder von Peter Pichler

Stromausfälle in der Nacht haben wir alle schon einmal erlebt. Alle Fernseher bleiben aus, alle Radios, das Internet schweigt.  Ein realer Stromausfall war die Initialzündung für diese Bilder. Die Wirkung der Stadt, der Lebensraum bei Nacht, die rätselhafte Wirkung und Faszination von Elektrizität – aber auch die pulsierende und niemals schlafende Stadt, das sind die Synonyme der hier gezeigten Arbeiten.

Da ist die nähere Umgebung neu erlebt, die Menschenleere tritt näher, erzählt neue Geschichten, wird neu gesehen, das Fremde tritt von Außen nach Innen mit vielen Fragen, dort wo ein Licht brennt, fühlt der Betrachter sich zugleich etwas heimisch und gelangt in die Geschichten erzählenden Stuben, die den Bildern von Peter Pichler ins Auge springen.  Peter Pichler entdeckt das kalte Licht der Straßenbeleuchtung, der vorbeifahrenden Autos und eine warme Glühlampe ebenso, die vielleicht einen glücklichen Moment im inneren des Hauses, im inneren des Menschen verrät.

Die Nacht entfaltet ihre Unmittelbarkeit in der Dunkelheit, die virtuellen Showrooms ruhen,  das Kunstlicht wirft seltsame Schatten, angesteuert wird ein Parkplatz, die Nord-Süd-Fahrt,  gestreift wird eine Häuserzeile - sie teilt dem Betrachter mit: die Menschen sind zu Hause, sind unerreichbar und unsichtbar, sie sind im Privaten versunken, ob allein oder zu zweit, anonym oder in Gesellschaft – oder die Wohnung ist leer.

Peter Pichlers Malerei spielt mit dem Vorhaben des Verschwindens, eben war da noch ein vorbeifahrendes Auto, jetzt sieht man  nichts mehr. Das Auge tastet, das Auge rätselt, was sieht man, was erahnt man.  Die Strasse, die matte Farbigkeit des grauen Asphalts im faden Licht, das Restgrün, eine malerische Herausforderung.

Dort ein Licht, nur die Andeutung von Menschen, gerade aufgestanden, gerade dabei, etwas zu tun, noch in der Nacht, eine Notiz für den nächsten Tag, ein Glas Wasser, Zeit für die Liebe, die Sehnsucht nach Etwas... wir wissen es nicht.

In Peter Pichlers Bildern ist der  Mensch der Geschäftigkeit  entzogen oder er ist bewusst in seiner Privatheit  gefangen, in den Mauern der Isoliertheit, dem Spiegel seiner Arbeit. Trost findet er im faden oder sonnigen  Licht des nächsten Tages oder beim FC. Die Abstufungen von schwarz und grau assoziieren „soziale Phantasien“. Es entstehen Räume, die die Identität ihrer Bewohner verbergen.  Die malerischen Momentaufnahmen führen den Betrachter in die Stille und Tiefe einer anderen Köln – Wahrnehmung. Und alles könnte ganz anders gesehen werden:   Denn: „Es ist nie so wie es scheint“. Das Kölner Künstlerpaar arbeitet seit vielen Jahren gemeinsam. Als diese Gemeinsamkeit treten immer wieder die bewusst ausschnitthaften Erzählmomente in den Vordergrund.

Bei Peter Pichler ist es die dokumentarische Sicht auf die Stadt, auf die urbane Stadtlandschaft, das sich ständig verändernde Potenzial, den Zerfall, den Moment der gestreckten Zeit reflektierend. Bei Juliane Groß sind es die Dinge,  dem Alltag entrissen, in einen neuen Zusammenhang gebracht.  

Die hinterfragte Zeitlichkeit beider Künstler, besonders aber die dunklen Bilder von Peter Pichler, wie auch seine  fließenden Rheinlandschaften können und müssen mit dem bewusst wahrgenommenen Zerfließen der Zeit und der Nähe zum Rhein, dem Lebensfluss, in Zusammenhang gebracht werden.

"carpe diem, carpe noctem", nutze den Tag, nutze die Nacht. Ein Schlusswort, dass beweist, dass aktive Künstler hier in Köln beides kreativ nutzen, die Nacht und den Tag  um ihre Bilder zu erfinden und zu kommunizieren. 

Dauer der Ausstellung:  17. September bis 08. Oktober 2009
8. Juni 2009  Elvira Reith copyright